REIMEREI – September/Oktober 2024

Von Alpträumen und dunklen Mächten

Franz Kafka starb vor 100 Jahren. Er schrieb düstere Romane und Kurzgeschichten, in denen die Wirklichkeit oft zu einer Alptraumwelt wird. Meist sind es bedrückende Erzählungen ohne glückliches Ende.

Foto: delcarmat/Shutterstock.com

Wer war Franz Kafka?

Franz Kafka wurde im Jahr 1883 in Prag geboren. Diese Stadt gehörte damals noch zu Österreich. Heute ist sie die Hauptstadt von Tschechien.

Kafka schrieb auf Deutsch. Sein Geld verdiente er sich aber nicht mit seinen Büchern, sondern als Angestellter einer Versicherungsanstalt. Deshalb hatte er wenig Zeit und schrieb oft die ganze Nacht durch.

Für Aufsehen sorgte die Erzählung „Die Verwandlung“, bei der ein Mann plötzlich als riesenhafter Käfer erwacht. Es folgte der Roman „Der Prozess": Ein Verurteilter erfährt nie, warum und von wem er verurteilt wurde. Im Roman „Das Schloss“ gelingt es einem Landvermesser trotz intensiver Bemühungen nie zum Schlossherrn vorzudringen. Ziemlich trostlos, findest du nicht? Stimmt. Und dementsprechend trostlos war auch das kurze Leben Kafkas. Er starb 1924 in Wien. Sein letzter Wille: „Verbrennt alle meine Schriften." Gott sei Dank ist das aber nicht passiert. Denn Kafkas Romane zählen heute zu den Meisterwerken der Literatur.

Gib’s auf!

Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm hin und fragte ihn atemlos nach dem Weg.
Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren?“
„Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“
„Gib’s auf, gib’s auf“, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Was heißt „kafkaesk“?

Ganz schön verwirrend diese Geschichte von Franz Kafka – kafkaesk eben. Das Wort verwendet man für Situationen, die man als bedrohlich, rätselhaft und absurd empfindet. Man ist einer Macht ausgeliefert, deren Regeln man nicht versteht und die einem niemand erklärt. Wurdest du schon einmal bestraft, ohne den Grund zu kennen? Dann hast du schon einmal eine kafkaeske Situation erlebt?

Diskutiert in der Klasse

Besprecht folgende Fragen:

Warum nimmt Kafka an, dass die Turmuhr die richtige Zeit angibt?

Kafka kennt sich in der Stadt noch nicht gut aus. Was könnte das bedeuten?

Kann ihm der Schutzmann (Polizist) weiterhelfen?

Warum entmutigt ihn der Schutzmann?

Und warum lacht er Kafka heimlich aus?

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Kleine Fabel

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ –
„Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.

Jetzt bist du dran!

Kafka beschreibt sein Lebensgefühl: Als Kind war für ihn die Welt noch groß und weit und er fühlte sich glücklich. Regeln empfand er als hilfreich. Doch je älter er wurde, desto mehr „Mauern“ kamen auf ihn zu und beengten ihn.

Erinnert dich die Katze an den Polizisten aus der ersten Geschichte? Welche Rolle spielen die beiden? Worin unterscheiden sie sich?

Gibt es bei Kafka einen Ausweg aus seiner Situation?

Wie würdest du das Ende der Fabel schreiben?

Wie siehst du dich selbst? Bist du ein fröhlicher Mensch oder eher ein Grübler, wie Franz Kafka?

Autor: Siegfried Weger