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„Der Taucher" von Friedrich Schiller | TOPICdigi

REIMEREI – November 2023

„Der Taucher" von Friedrich Schiller

Dass Lyrik sehr spannend sein kann, beweist die Ballade „Der Taucher“ von Friedrich Schiller. Sie erzählt dir von wahnwitzigem Todesmut und Risikobereitschaft. Und sie entführt dich in eine Unterwasserwelt, die sich der Dichter, der nie das Meer gesehen hatte, furchterregend und von grauenhaften Meereswesen bevölkert, vorstellte.

Foto: SpicyTruffel, Pixel-Shot/Shutterstock.com

„Der Taucher“ (gekürzt) von Friedrich Schiller

Der tyrannische König umgeben von seinem Gefolge steht an der Klippe und möchte wissen, wie es unter der Oberfläche der tobenden Meeresbrandung aussieht. Er wirft einen goldenen Becher in das tosende Meer. Derjenige, der ihn heraufholt, könne ihn behalten.

„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er ist sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh
Der Klippe, die schroff und steil
Hinaushängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
„Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Was heißt ...?
der schwarze Mund:
das dunkle Wasser scheint den Taucher zu verschlingen
Charybdis: ein gefräßiges Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie

Keiner der Ritter wagt den Todessprung. Endlich meldet sich ein junger Knappe. Er springt in die Brandung und wird vom Strudel in die Tiefe gesaugt.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
Und schwarz aus dem weißen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging's in den Höllenraum,
Und reißend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und - ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
Und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
Schließt sich der Rachen, er zeigt sich nimmer.
 

Der Jüngling entdeckt den Becher, der sich an einer Koralle verfangen hat. Er ergreift ihn und wird von der Strömung nach oben gezogen.

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß,
Da hebet sich's schwanenweiß,
Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß,
Und er ist's, und hoch in seiner Linken
Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.
 

Der König empfängt ihn freudig. Aufgeregt erzählt der Jüngling von seinen Erlebnissen und den Begegnungen mit den ungeheuerlichen Meeresbewohnern.

Es riss mich hinunter blitzesschnell –
Da stürzt mir aus felsigem Schacht
Wildflutend entgegen ein reißender Quell:
Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
Und wie einen Kreisel mit schwindendelm Drehen
Trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief
In der höchsten schrecklichen Not,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfasst ich behänd und entrann dem Tod -
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
Sonst wär er ins Bodenlose gefallen.

Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachligte Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Was heißt ...?
der stachligte Roche: gemeint ist der Stachelrochen
des Hammers gräuliche Ungestalt: der Hammerhai

Und da hing ich und war's mit Grausen bewusst
Von der menschlichen Hilfe so weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der grässlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht ich's, da kroch's heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir - in des Schreckens Wahn
Lass ich los der Koralle umklammerten Zweig;
Gleich fasst mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riss mich nach oben.“
 

Der König will mehr von dieser verborgenen Welt erfahren und bietet dem Wagemutigen einen kostbaren Ring, wenn er noch einmal hinuntertaucht. Die Königstochter bittet ihren Vater, mit dem grausamen Spiel aufzuhören. Da verspricht der König dem Jüngling, ihm seine Tochter zur Frau zu geben. Der Bursche wagt noch einmal den Sprung in die Tiefe. Doch diesmal kehrt er nicht mehr zurück.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündigt der donnernde Schall -
Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick:
Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.

Hör dir den Taucher in ganzer Länge an

Anna Magdalena Bössen trägt die Ballade besonders eindrucksvoll vor.Videoquelle: Diplom-Rezitatorin Anna Magdalena Bössen (AMB)

Hintergrundgeschichten

Die zwei Superstars der deutschen Dichtung hießen Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller. Die beiden Männer waren gute Freunde. Im Jahr 1797 begannen sie einen „Balladen-Battle“ – einen Wettstreit im Balladendichten. Es entstanden in wenigen Monaten Balladen, die heute noch bekannt sind: So schrieb Goethe „Der Schatzgräber“ und „Der Zauberlehrling“ und Schiller „Der Handschuh" und eben „Der Taucher“. Es gab auch eine Vorlage für die Handlung. Eine Sage aus Sizilien erzählt von einem wagemutigen Taucher, namens Nicolaus Pesce (Nikolaus Fisch). Schiller kannte aber die Geschichte gar nicht und erfuhr von ihr erst später.

Apnoetauchen

Unser Taucher hätte vielleicht auch den zweiten Versuch überlebt, hätte er die Technik des Apnoetauchens beherrscht. Bei dieser Art des Tauchens atmet man vor dem Abtauchen tief ein und nutzt nur diesen einen Atemzug. Der Rekord beim Zeittauchen erzielte der französische Taucher Stéphane Mifsud in einem Swimmingpool mit 11 Minuten und 35 Sekunden. Den Rekord im Tiefentauchen erzielte der Österreicher Herbert Nitsch mit einer Tiefe von 214 m.

Jetzt seid ihr dran!

No risk no fun? Der coole Spruch stimmt oft nicht. Immer wieder gehen sogenannte Mutproben schlecht aus. Vielleicht kennst du tragische Beispiele aus deinem Bekanntenkreis oder du hast darüber in den Nachrichten gehört. Erzählt euch davon.
Und überlegt, was den Jüngling aus der Ballade dazu getrieben hat, das Risiko noch einmal einzugehen.

Tauchen mit Playmobil

Eine etwas andere Fassung des Tauchers stammt von Volker Herzberg. Er erzählt die Geschichte mit Hilfe von Playmobilfiguren neu.Videoquelle: Volker Herzberg

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